In einem „Kommentar der anderen“ im STANDARD vom 29. 10. 2021 argumentierte der Ökonom Oliver Picek, dass Aktien nur etwas für „die Reichen“ seien, alle anderen mögen doch beim Sparbuch bleiben. Als Belege dafür führt Picek die Gefährlichkeit von „ETFs“ (kostengünstige Indexfonds) und das Scheitern der „prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge“ an. Die Beispiele stützen jedoch eher die gegenteilige Schlussfolgerung: Nur Reiche könnten es sich leisten, NICHT in die Aktienmärkte zu investieren.

Es ist eine seltsame Tradition, dass hierzulande das politische Engagement gegen Vermögensungleichheiten meist in Gebote mündet, wie „die Armen“ vor ihrer eigenen Unvernunft zu schützen seien. Aber: Armsein bedeutet nicht Dummsein. Die „Nicht-Reichen“ brauchen keinen Vormund, der ihnen sagt, was sie dürfen – vor allem, wenn diese Anweisungen unbegründet sind. Sie brauchen vielmehr Expert*innen, die ihnen nützliches Wissen vermitteln; das heißt, Informationen, die auf korrekten Fakten beruhen.

Anders als Picek behauptet, sind „ETFs“ nicht die neueste Spekulationsblase („der letzte Schrei“), sondern eine kostengünstige Variante von Investmentfonds, die sich seit Jahrzehnten allmählich auch in Europa durchsetzt. Da sie den Zugang zu Finanzmärkten mit deutlich niedrigeren Kosten und ohne Einbuße an Rendite oder Streuung erlauben, sind sie aus Sicht des Konsumentenschutzes zu begrüßen – mit dem Ergebnis: weniger Gebühren für die Finanzindustrie, mehr Ertrag für Investor*innen. Dass Picek ein globales Aktieninvestment mit dem Währungsrisiko von Schweizer Frankenkrediten vergleicht, ist gleich mehrfach – vor allem aber mathematisch – falsch gedacht: wenn die Fremdwährung steigt, führt das bei einem Kredit zu einem Verlust; beim Gegenteil des Kredites jedoch, der Investition, zu einem Gewinn!

Ebenso ist die „prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge“ mitnichten ein Beispiel für die Gefährlichkeit von Aktien, sondern gerade für das Gegenteil: Aus falsch verstandenem Konsumentenschutz schrieb der Gesetzgeber diesem Produkt eine geringe Aktienquote und eine Kapitalgarantie vor – mit dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Aktienquote dieser Produkte im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt. Dadurch konnten die Anleger*innen nicht von den Renditen an den Aktienmärkten profitieren; die minimalen Zinsen, die durch die Veranlagung in risikoarme Anleihen erzielt werden konnten, wurden von den hohen Gebühren aufgefressen. Das traurige Schicksal dieser Initiative zur privaten Pensionsvorsorge kann also nur ein Argument für unbeschränkten Aktienanteil, niedrige Kosten und gegen bevormundende Vorschriften sein.

Die Frage „Aktien oder Sparbuch“ ist eine sinnfreie Alternative – so als würde man ernsthaft erörtern, ob Wasser oder Brot das bessere Lebensmittel sei. Besser wofür?
Für kurze Zeiträume sind Investments in Aktienmärkte – etwa in Form von Indexfonds – aufgrund der hohen Schwankungen an den Börsen riskant: Ein breiter Index kann in einem Jahr zwischen minus 40 bis plus 60 % erzielen. Auf lange Sicht schrumpft dieses Schwankungsrisiko: Über 20 Jahren erzielte der gleiche Index in der Vergangenheit immer eine positive Rendite – und zwar real, also nach Inflation.
Umgekehrt ist der reale Wertverlust eines Sparbuchs – nominelle Zinsen minus Inflationsrate – auf ein Jahr bedeutungslos; auf 20 Jahre aber ein dramatischer Verlust (aktuell ist der Wertverlust über 3 % pro Jahr. Rechnen Sie selbst …).
Das heißt: So unvernünftig es ist, auf kurze Sicht in Aktienfonds zu investieren, so unvernünftig ist es, das auf lange Sicht nicht zu tun. Vernünftig ist, für kurzfristige Sparziele Geld am Sparbuch zu lassen, für langfristige jedoch in Aktienfonds zu investieren.

Im Übrigen sind die Sparziele meist langfristiger als den Menschen bewusst ist. Pensionsvorsorge zum Beispiel zielt ja nicht auf den Tag des Pensionsantritts, sondern auf die gesamte Dauer der Pension ab; bei dem derzeitigen Pensionsantrittsalter beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung danach noch 25 Jahre. Das bedeutet, dass der durchschnittliche Investmenthorizont selbst bei Pensionsantritt noch über 10 Jahre liegt.

Daraus folgt, dass es sich nur „die Reichen“ leisten könnten, ihr Geld am Sparbuch zu lassen; alle anderen sollten entsprechend ihrer Zeithorizonte vernünftig, also auch in Aktien(-fonds), investieren. Diese Zeithorizonte realistisch zu planen und laufend zu beobachten, ist die eigentliche Herausforderung.

Text: Georg Tillner
Foto: „Savings“ (c) Mathieu Stern on Unsplash